Die Fuvest-Liste

Anouk Kruithof, 2009
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Offener Brief von Universitätsprofessoren und Literaturkritikern

Die Auswahlkriterien für ein einzelnes Autorenprofil erfüllen nicht die Aufnahmeanforderungen

Die Universitätsstiftung für die Aufnahmeprüfung (FUVEST), die die Aufnahmeprüfung an der Universität von São Paulo (USP) organisiert, hat kürzlich die Liste der Bücher veröffentlicht, die von 2026 bis 2028 gültig sind und ausschließlich weibliche Autorinnen bevorzugen. Im Jahr 2029 werden drei Werke von Männern die drei bisherigen ersetzen, während die anderen gleich bleiben. Von den insgesamt neun Autoren sind drei Schwarze (ein Brasilianer, ein Angolaner und ein Mosambikaner) und sechs Weiße (einer davon Portugiese).

Ohne Zweifel ist eine breite Diskussion über den Kanon und den aktuellen Streit darüber unerlässlich. Aber auch die Auswahlkriterien für ein einzelnes Autorenprofil sind angesichts des Ausschlusses schwarzer Schriftsteller, der LGBTQIAPN+-Repräsentation und der indigenen Völker nicht mit der Inklusion vereinbar. In einem anderen Aspekt verschwand die literarische Produktion des kolonialen Brasiliens aus der Liste der Werke, wahrscheinlich in einer Verwerfung dessen, was als „alt“ galt.

Darüber hinaus missachtet die Annahme eines einzigen Kriteriums für die Auswahl von Büchern die Besonderheit der Literatur und birgt die Gefahr, die neuen utilitaristischen Zeiten der Abwertung künstlerischer Sprachen und vor allem die Fokussierung auf die Figur des Autors oder auf die Schichten zu bestätigen oberflächlichere Aspekte des Textes.

Die Übertragung eines zeitgenössischen Prinzips auf die Auswahl von Werken unterschiedlicher Stilrichtungen und Epochen birgt auch die Gefahr, von den Autoren ein Ziel zu verlangen, das sie in ihrem historischen Moment nicht oder, wenn ja, sicherlich auf eine bestimmte Art und Weise vorgeschlagen haben von den aktuellen Werten abweichen. Aber das Kunstwerk sagt tendenziell mehr aus, als es beabsichtigt, ebenso wie die Lesart je nach Zeit und unterschiedlichen Lesergruppen unterschiedlich ist. In diesem Sinne bestimmt FUVEST eine einzige Produktions- und Rezeptionsform und geht davon aus, dass Literatur ein Dokument oder eine Illustration aktueller Theorien ist.

Die Ernsthaftigkeit der Streichung von Machado de Assis aus der FUVEST-Bücherliste spricht für sich. Im Kontext der hygienischen Medizin, die den „Instinkt“ der Mutterschaft verbreitete und weibliche Handlungen mit der Funktion domestiziert, das Wohlergehen der bürgerlichen Familie zu gewährleisten, machte Machado de Assis diesen „Instinkt“ lächerlich und erfand die Frau als eine von ihr geprägte Subjektivität Verlangen und nicht-monogame Sexualität. Mit Capitu formalisiert Machado de Assis die Unsichtbarkeit der Frau, die Herrin ihres Schicksals sein wollte. Die Galerie der weiblichen Machado-Charaktere regt zum Nachdenken an.

Es gibt andere Werke, in denen die literarische Qualität entscheidend für das Verständnis der gesellschaftlichen Situation von Geschlecht ist, wie z Der Industriepark, aus Pagu; Sankt Bernhard, von Graciliano Ramos; Das Imaginäre, von Adalgiza Nery; Verschüttete Milch, von Chico Buarque; Es ist Symphonie in Weiß, von Adriana Lisboa.

Offensichtlich ist nicht zu erwarten, dass alle diese Aspekte berücksichtigt werden. Es wäre jedoch eine bessere Kombination dieser Faktoren möglich, die die Einzigartigkeit der Fiktion in allen ausgewählten Werken hervorheben und der Auferlegung einer einzigen Annahme entgehen würde.

Der Verlust des Platzes der Literatur auf der Liste erfolgt auch bei der Auswahl Humanitäre Broschüren, von Nísia Floresta, ein wichtiger Titel, der aber nicht als Fiktion gedacht ist. Er erörtert die Situation der Frau in verschiedenen Zeiten und die Notwendigkeit einer formalen Bildung für Frauen.

Beabsichtigt FUVEST angesichts dieser besonderen Wahl von nun an, Titel auszuwählen, die nicht nur literarisch sind? Die Entscheidung, die bereits traditionellen Aufnahmeprüfungslisten durch Werke aus anderen diskursiven Genres zu ersetzen, wird Auswirkungen auf den Bildungsbereich haben. Poesie, Prosa, Kritik, Literaturtheorie und vergleichende Literaturwissenschaft werden in sekundäres Wissen umgewandelt, mit der Gefahr, dass sie allmählich aus dem Bildungssystem verschwinden.

Kurzfristig gehen Fähigkeiten verloren, die das Studium der Literatur vermittelt: die Untrennbarkeit zwischen Schreiben und Interpretieren; die Förderung der Staatsbürgerschaft – ästhetischer Genuss, die kritische Fähigkeit, die Welt zu lesen und das Gefühl des Andersseins. Laut einer Studie des Brasilianischen Verbandes für Komparatistik („Brief an ABRALIC“, 2023) führt die zunehmende Diskreditierung literarischen Wissens in offiziellen Dokumenten unter anderem bereits zu einer „Entintellektualisierung“ von Schülern und Lehrern.

Wir erkennen die Autonomie von FUVEST an, verzichten jedoch nicht auf die Annahme von Meinungsverschiedenheiten in intellektuellen Fragen. Die öffentliche Universität ist dafür verantwortlich, das von ihr produzierte Wissen zu diskutieren, zuzuhören und zu bewerten.

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Adriana Iozzi Klein – Italienische Literatur – USP

Adriane da Silva Duarte – Griechische Sprache und Literatur – USP

Alcides Villaça – Brasilianische Literatur – USP

Alexandre Pilati – Brasilianische Literatur – UnB

Ana Beatriz Demarche Barel – Portugiesischsprachige Literaturen – UEG

Ana Laura dos Reis Côrrea – Portugiesische Literatur – UnB

Ana Luiza Martins – CONDEPHAAT

Ana Paula Pacheco – Literaturtheorie und Vergleichende Literaturwissenschaft – USP

Anco Márcio V. Tenório – Briefe – UFPE

André Luis Rodrigues – Brasilianische Literatur – USP

André Medina Carone – Philosophie – Unifesp

Antonio Dimas – Brasilianische Literatur – USP

Ariovaldo José Vidal – Literaturtheorie und Vergleichende Literaturwissenschaft – USP

Arlenice de Almeida Silva – Philosophie – UNIFESP

Augusto Massi – Brasilianische Literatur – USP

Betina Bischof – Literaturtheorie und Vergleichende Literaturwissenschaft – USP

Carlos A. Ferreira Martins – Institut für Architektur und Städtebau – USP – São Carlos

Carlos Cortez Minchillo – Spanisch und Portugiesisch – Dartmouth College/ VEREINIGTE STAATEN VON AMERIKA

Carlos Vogt – Linguistik – Unicamp

Celso Frederico – Soziologie/ ECA – USP

Cilaine Alves Cunha – Brasilianische Literatur – USP

Cilza Bignotto – Songtext – UFSCar

Claudia Maria de Vasconcellos – Literaturtheorie und Vergleichende Literaturwissenschaft – USP

Davi Arrigucci Jr. – Literaturtheorie – USP

Deane Costa – Literaturtheorie – UnB

Dóris Natái Cavallari – Italienische Literatur – USP

Eduardo Brandão – Philosophie – USP

Edvaldo Aparecido Bergamo – Portugiesische Literatur – UnB

Eliane Robert Moraes – Brasilianische Literatur – USP

Enid Yatsouda – IEL – Unicamp

Erwin Torralbo Gimenez – Brasilianische Literatur – USP

Ettore Finazzi-Agrò – Brasilianische und portugiesische Literatur – Universität Rom

Fabio Cesar Alves – Brasilianische Literatur – USP

Fabio de Souza Andrade – Literaturtheorie und Vergleichende Literaturwissenschaft – USP

Fernando Paixão – Literatur – IEB/USP

Francisco Foot Hardmann – IEL – Unicamp

Gilberto Pinheiro Passos – Französische Literatur – USP

Giuliana Ragusa – Griechische Sprache und Literatur – USP

Horácio Costa – Portugiesische Literatur – USP

Ida Alves – Portugiesische Literatur – UFF

Ivan Marques – Brasilianische Literatur – USP

Ivone Daré Rabello – Literaturtheorie und brasilianische Literatur – USP

Jacqueline Penjon – Songtext – Sorbonne/Frankreich

Jean Pierre Chauvin – Brasilianische Kultur und Literatur – USP

Jefferson Agostini Mello – Brasilianische Literatur – USP

João Adolfo Hansen – Brasilianische Literatur – USP

João Roberto Gomes de Faria – Brasilianische Literatur – USP

Joelma Santana Siqueira – Brasilianische Literatur – UFV

John Gledson – Brasilianistik – University of Liverpool/ UK

Jorge de Almeida – Literaturtheorie und Vergleichende Literaturwissenschaft – USP

Jorge Schwartz – Spanisch – USP

José Sueli Magalhães – Linguistische Studien – UFU

Katia Muricy – ​​​​Philosophie – PUC/RJ

Laura Janina Hosiasson – Spanisch – USP

Leandro Saraiva – Kunst und Kommunikation – UFSCar

Leon Kossovitch – Philosophie – USP

Leopoldo Bernucci – Spanisch-Amerikanische Literatur – UC-Davis/USA

Leyla Perrone Moisés – Französische Literatur – USP

Lincoln Secco – Geschichte – USP

Luís Bueno – Brasilianische Literatur – UFPR

Luiz Costa Lima – Literaturtheorie – PUC/RJ

Luiz Renato Martins – Bildende Kunst – USP

Luiz Roncari – Brasilianische Literatur – USP

Leandro Pasini – Brasilianische Literatur – UNIFESP

Mamede Mustafá Jarouche – Arabische Literatur – USP

Marcelo Ferraz de Paula – Songtext – UFG

Marcelo Pen – Literaturtheorie und Vergleichende Literaturwissenschaft – USP

Márcia de Arruda Franco – Portugiesische Literatur – USP

Marcos Flamínio – Brasilianische Literatur – USP

Marcus Mazzari – Literaturtheorie und Vergleichende Literaturwissenschaft – USP

Margareth Santos – Spanische Literatur – USP

Maria Aparecida Junqueira – Briefe – PUC/SP

Maria Augusta Costa – Spanisch – Text

Maria Augusta Fonseca – Literaturtheorie und Vergleichende Literaturwissenschaft – USP

Maria Célia Leonel – Text – UNESP/ Araraquara

Maria da Glória Bordini – Briefe – UFRGS

Maria Eugênia Boaventura – IEL – Unicamp

Maria Inês Batista Campos Noel Ribeiro – Philologie und portugiesische Sprache – USP

Maria Lúcia de Barros Camargo – Literaturtheorie – UFSC

Marilena Chauí – Philosophie – USP

Marilene Weinhardt – Songtext – UFPR

Marisa Lajolo – IEL – Unicamp

Marta Kawano – Literaturtheorie und Vergleichende Literaturwissenschaft – USP

Maurício Santana Dias – Italienische Literatur – USP

Mayra Laudanna – Bildende Kunst – USP

Mayra Moreyra Carvalho – Portugiesische und brasilianische Literatur – UEMG

Milena Martins – Songtext – UFPR

Milton M. Azevedo – Spanisch und Portugiesisch – UC Berkeley/VEREINIGTE STAATEN VON AMERIKA

Mirella Márcia Longo Vieira Lima – Literaturtheorie – UFBA

Mirhiane Mendes de Abreu – Brasilianische Literatur – UNIFESP

Murilo Marcondes de Moura – Brasilianische Literatur – USP

Olgária Matos – Philosophie – USP

Paola Poma – Portugiesische Literatur – USP

Paula da Cunha Corrêa – Griechische Sprache und Literatur – USP

Paulo Alberto da Silva Sales – Literaturtheorie – UEG

Paulo Eduardo Arantes – Philosophie – USP

Paulo Elias Allane Franchetti – IEL – Unicamp

Priscila Loyde Gomes Figueiredo – Brasilianische Literatur – USP

Priscila Rossinetti Rufinoni – Philosophie – UnB

Rafael Campos Quevedo – Songtext – UFMA

Raul Antelo – Literaturtheorie – UFSC

Renato Janine Ribeiro – Philosophie – USP

Ricardo Fabrini – Philosophie – USP

Ricardo Musse – Soziologie – USP

Ricardo Kobayaski – Professor und Koordinator der Website A Terra é Redonda

Roberta Barni – Italienische Literatur – USP

Roberto Schwarz – IEL – Unicamp

Rodolfo A. Franconi – Spanisch und Portugiesisch – Dartmouth College - VEREINIGTE STAATEN VON AMERIKA

Rogério Max Canedo – Songtext – UFG

Salete de Almeida Cara – Literaturtheorie und Vergleichende Literaturwissenschaft – USP

Sandra Guardini Teixeira Vasconcelos – Englische Literatur – USP

Sárka Grauová – Romanische Studien – Carolina University/ CZ

Simone Rossinetti Rufinoni – Brasilianische Literatur – USP

Solange Fiuza Cardoso Yokozawa – Songtext – UFG

Sylvia Moretzsohn – Soziale Kommunikation – IACS/UFF

Tânia de Luca – Geschichte – Unesp/Assis

Telê Ancona Lopez – IEB – USP

Tércio Loureiro Redondo – Deutsche Literatur – USP

Teresa Cristófani Barreto – Spanisch – USP

Thiago Mio Salla – ECA – USP

Vagner Camilo – Brasilianische Literatur – USP

Valentim Facioli – Brasilianische Literatur – USP

Valéria Gil Condé – Romanische Philologie – USP

Viviana Bosi – Literaturtheorie und Vergleichende Literaturwissenschaft – USP

Yudith Rosenbaum – Brasilianische Literatur – USP


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