von FRANCISCO DE AMBROSIS PINHEIRO MACHADO*
Kommentar zum Roman von Alfred Döblin
Erstveröffentlichung 1929, Berlin Alexanderplatz Er kann als erster deutscher Großstadtroman literarischen Formats gelten. Es fand große Akzeptanz in der Öffentlichkeit und erhielt bald neue Nachdrucke und Übersetzungen in mehrere Sprachen. Auch bei den meisten damaligen Kritikern fand es großen Anklang, gelobt wurde es unter anderem von Robert Musil, Arnold Zweig, Erich Kästner. Schon Thomas Mann erkannte, dass es seinem Erzrivalen Alfred Döblin gelang, die proletarische Realität jener Zeit in die Sphäre des Epos zu erheben. Großes Lob. Aber ist es wirklich ein Epos des Proletariats?
Das Buch tendiert sicherlich eher zu einem Epos als zu einem Roman. Dies war Döblins Vorschlag, der in seinen theoretischen Schriften dargelegt wurde, in denen er seit den 1910er Jahren die Wiederaufnahme Homers vorschlug, um die Krise des Subjekts und des bürgerlichen psychologischen Romans zu überwinden. In Anlehnung an Döblins Position erkannte Walter Benjamin bei der Rezension des Buches, worum es bei diesem Gegensatz geht: Während der Roman auf der Einsamkeit und Isolation des in sich selbst verschlossenen Individuums basiert, auf dem geschriebenen Buch und auf der Trennung zwischen Romanautor und Autor Leser; Das Epos hat seinen Ursprung in der mündlichen Überlieferung, ist Teil einer Gemeinschaft zwischen Erzähler und Zuhörer, seine Charaktere sind beispielhaft und stellen sich einer elementaren und realen Situation der menschlichen Existenz gegenüber, was der Erzählung den Charakter praktischer, kollektiver und offener Lehre verleiht. Döblin versuchte, diesen Vorschlag in mehreren Werken zu verwirklichen, wie z Manas, aus dem Jahr 1927, ein Versepos, das in Indien spielt. aber es war mit Berlin Alexanderplatz der wirklich eine moderne Form für das gefunden hat, was er suchte.
Die intensive Präsenz des Berliner Dialekts (leider schwer zu übersetzen) verleiht dem Buch die für ein Epos charakteristische Mündlichkeit. Darüber hinaus ist das Buch, wie der Leser schnell erkennt, nicht in Versen aufgebaut und basiert auch nicht auf Material aus fernen Meeren, Ländern, heroischen und mystischen Zeiten. Es handelt sich um eine dichte Montage im kinematografischen Stil aus der Collage aller möglichen historischen Dokumente: Auszüge aus Sensationszeitungen, die Bibel, das Tagebuch eines depressiven Menschen, öffentliche Depeschen, Gerichtsverfahren, populäre und patriotische Lieder, Gefängnisvorschriften, Werbung, Busfahrpreise, Beschreibung des öffentlichen Verkehrsnetzes, wissenschaftliche Bücher, Stadtstatistik, Meteorologie.
Nichts willkürliche Montage, wie sie Benjamin zeigt, die der epischen Handlung Autorität verleiht und die es laut Döblin ermöglicht, so nah wie möglich an die Realität heranzukommen, genauer gesagt an das, was er als Überwirklichkeit definierte (Über-Realität), zusätzlich zum Sachverhalt. Es sind Dokumente aus dem hektischen und vielfältigen Leben Berlins zwischen den Kriegen: einer industriellen Megalopole mit vier Millionen Einwohnern, zerstört durch die politischen und wirtschaftlichen Instabilitäten der Weimarer Republik. Berlin war für Döblin ein „Meer aus Stein“, in dem er das Material für sein Buch sammelte. Er lernte es vor allem aus dem Leben rund um den Alexanderplatz, einem Platz, in dessen Nähe er wohnte und seine Arztpraxis hatte, der in einem Gewerbegebiet lag, umgeben von kleinbürgerlichen Vierteln, Mietskasernen und dekadenten Vierteln der Prostitution und des Banditentums.
Zwischen letzterem und auf diesem Platz spielt sich die Geschichte von Franz Biberkopf, dem Protagonisten der Erzählung, ab. Döblins Anliegen, als er das Buch schrieb, galt dem sozialen Problem dieser Männer „zwischen den Klassen“, in diesem Sinne wird sein moderner Held vor allem mehrdeutig sein als sein soziales Milieu, das Lumpenproletariat. Er ist also kein alter Held von adliger Klasse, der für seinen Mut und seine raffinierten Tugenden beispielhaft ist, mit denen er seine Stadt würdig verteidigt und ihr Schicksal in die Hand nimmt.
Biberkopf ist ein einfacher Mann, sogar ein guter, körperlich stark, in mancher Hinsicht mutig, aber visionslos, naiv und brutal. Er verteidigte Deutschland als Soldat im Ersten Weltkrieg und war Bau- und Transportarbeiter, verbrachte aber später vier Jahre im Gefängnis, weil er seine Partnerin Ida geschlagen hatte, die schließlich starb. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis – hier beginnt die Erzählung – lässt er sich mühsam am Alexanderplatz nieder und fühlt sich erst wirklich frei, nachdem er Idas Schwester mit einiger Gewalt zum Geschlechtsverkehr gezwungen hat.
Ohne nachzudenken oder sich über irgendetwas schuldig zu fühlen, schlägt er vor, ein anständiges Leben zu führen, und bemüht sich wirklich darum. Aber aufgrund seiner Naivität hindert ihn bald das soziale Umfeld, zu dem er gehörte, als ob er die Macht des Schicksals oder des Naturgesetzes besäße, daran, seine Absicht zu erfüllen. Zunächst wird er von einem Kollegen getäuscht. Dann wird er versehentlich in einen Raubüberfall mit einer Banditengruppe verwickelt und verliert durch Reinhold, einen der Diebe, seinen rechten Arm. An diesem Punkt ist Biberkopf nicht in der Lage, das Geschehen zu verstehen und solchen Rückschlägen zu widerstehen. Er gibt auf und beschließt, nicht mehr anständig zu sein, wird bewusst zum Zuhälter und scheint mit seinem neuen Leben zufrieden zu sein. Er nimmt sogar an Treffen linker Gruppen und Anarchisten teil, aber eher, um seinen Status als Schurke zu verteidigen, der stolz darauf ist, weder Arbeiter noch Arbeitsloser noch Bourgeois zu sein.
Er schließt sich freiwillig der gleichen Banditengruppe wie zuvor an und knüpft wieder Kontakt zu Reinhold, den er trotz allem als seinen besten Freund betrachtet. Dieser jedoch tötet seinen Begleiter auf grausame Weise. Biberkopf landet in einer Irrenanstalt. Vollständig Delirium mortis schafft es, seine Schuld zu übernehmen: „Ich bin schuldig, ich bin kein Mensch, ich bin ein Tier, ein Monster“, und er stirbt.
Aber die Erzählung endet hier nicht. Döblin erzählt auch von der Wiedergeburt eines anderen Biberkopfs, der die Anstalt verlässt, als Fabrikarbeitergehilfe ein anständiges Leben führt. Erwacht scheint er verstanden zu haben – hier ist die epische Lehre –, dass er alleine das Schicksal oder das soziale Umfeld, die ihn daran hindern, anständig zu sein, nicht überwinden kann, gleichzeitig geht es nicht darum, blind mit anderen zu marschieren, das ist notwendig wissen, mit wem er sich verbündet, bevor er entsprechend handelt: „Männern ist Vernunft gegeben, Ochsen gründen eine Gilde.“
Eine nicht unerhebliche Lehre, wenn man sie als Warnung vor Faschismus und Nationalsozialismus betrachtet, aber dennoch zweideutig ist, weil sie keine eindeutige politische Position vertritt, was zu Unbehagen bei den Kritikern der damaligen Linken führte. Für Benjamin besteht auch hier eine Unschärfe zwischen Epos und Roman, da Biberkopf, in der Fabrikwache in die Enge getrieben und passiv, seinen Vorbildcharakter aufgibt und sich vom Leser isoliert. Döblin räumte den improvisierten Charakter des Endes ein und sagte, dass es als Brücke zu einem anderen Buch verstanden werden sollte, das wahrscheinlich das Proletariat einbeziehen würde, wie er im Gespräch mit Sternberg und Brecht vorschlug.
Was jedoch tatsächlich ein Epos des Proletariats wäre, wurde nicht geschrieben. Diese Tatsache stellt meiner Meinung nach – insbesondere für heutige Leser – eine Herausforderung dar, die Zweideutigkeit des Endes dieses Quasi-Epos nicht als eine Schwäche zu verstehen, die hinter dem beispiellosen sozialen und epochalen Porträt zurückbleibt, das es bietet, sondern als einen Anfang, der uns zurücklässt die Lehre gerade einer ungelösten Aufgabe. Eine Warnung vor anderen Formen des Totalitarismus.
*Francisco de Ambrosis Pinheiro Machado ist Professor für Philosophie an der Unifesp. Autor, unter anderem von Immanenz und Geschichte: Die Wissenskritik bei Walter Benjamin (Hrsg. UFMG).
Referenz
Alfred Döblin. Berlin Alexanderplatz. Sao Paulo, Martins – Martins Fontes (https://amzn.to/3OUc7hI).