von JOSUÉ PEREIRA DA SILVA*
Vom Autor ausgewählter Auszug aus dem neu erschienenen Buch
Kritische Theorie ist der Ausdruck, der üblicherweise für die theoretische Produktion der Gruppe von Intellektuellen verwendet wird, die mit dem Institut für Sozialforschung verbunden sind [Institut für Sozialforschung], aus Frankfurt, Deutschland; und daher auch als Frankfurter Schule bekannt. Das von Felix Weil konzipierte Institut für Sozialforschung wurde 1923 offiziell gegründet und hatte Carl Grünberg als ersten Direktor.
Carl Grünberg leitete das Institut bis 1929, trat dann aus gesundheitlichen Gründen zurück und wurde durch Max Horkheimer ersetzt. Während seiner Leitung wurde die theoretische Produktion seiner Mitglieder als kritische Theorie bekannt. Zu diesen Intellektuellen zählen neben Max Horkheimer selbst Theodor Adorno, Friedrich Pollock, Herbert Marcuse, Leo Löwenthal, Franz Neumann, Otto Kirchheimer und Walter Benjamin. Mit seinem Amtsantritt als Direktor kündigt Max Horkheimer im Text seiner Antrittsvorlesung die Absicht an, ein interdisziplinäres Forschungsprogramm zu entwickeln, das sich am Paradigma der politischen Ökonomie von Karl Marx orientiert.
Interdisziplinarität – die sich bereits in der Zusammensetzung des Instituts manifestierte, zu dessen Hauptmitgliedern Philosophen, Literaturkritiker, Soziologen, Psychologen, Ökonomen und Politikwissenschaftler zählten – bedeutete für Max Horkheimer die Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen unter der Führung der Philosophie eine gemeinsame und artikulierte Anstrengung des kritischen Verständnisses der gesellschaftlichen Gesamtheit.
Noch in den frühen 1930er Jahren wurde das Institut jedoch aufgrund der Machtübernahme der Nazis im Jahr 1933 und der darauf folgenden Migration von Max Horkheimer und seinen Mitarbeitern in die Vereinigten Staaten nach New York verlegt, wo es bis 1949 blieb Datum, an dem sein Direktor nach Deutschland zurückkehrte. Daher wurde in der Zeit des Exils die Essenz dessen ausgearbeitet, was heute als Kritische Theorie bekannt ist.
Das Konzept der kritischen Theorie
Der Ausdruck kritische Theorie wurde von Max Horkheimer in dem 1937 in der Zeitschrift veröffentlichten Text „Traditionelle Theorie und kritische Theorie“ verwendet Zeitschrift für Sozialforschung, offizielle Zeitschrift des Instituts. Darin definiert Max Horkheimer die Kritische Theorie.
Der Begriff der kritischen Theorie ist allerdings älter und geht auf die kritische Philosophie Kants und die marxistische Ideologiekritik zurück und vereint damit die beiden Bedeutungen des Wortes kritisch [Kritik, in deutscher Sprache]. Das heißt, Kritik bedeutet einerseits die Prüfung der Legitimität von Wissen, durchgeführt durch die Kraft der Vernunft (Kant), und andererseits ist Kritik das Eingreifen der Vernunft in die sozialgeschichtliche Realität, also negative Reflexion. Verleugnung (Junghegelianer).
Max Horkheimer definiert die kritische Theorie indirekt, im Gegensatz zu dem, was er traditionelle Theorie nennt. Letzteres besteht für ihn aus einer Reihe miteinander verbundener und formal spezifizierter allgemeiner Aussagen, die zur Erklärung und Vorhersage von Phänomenen in einem bestimmten Forschungsgebiet verwendet werden sollen.
Diese nach dem Vorbild der exakten bzw. Naturwissenschaften formulierte Theorieauffassung zeichnet sich vor allem durch die Betonung der kognitiven Dimension aus, wobei der Kontext, in dem Theorien entstehen, geprüft und angewendet werden, weitgehend außer Acht gelassen wird. So konzipiert, erscheint es als ein allgemeiner konzeptioneller Apparat, der unabhängig vom Kontext von jedem, der in seinen Prinzipien und Methoden geschult ist, auf jedes Objekt in jedem Wissensbereich angewendet werden kann. Da sich menschliche Gesellschaften durch einen ständigen Prozess der Assimilation aus der Natur reproduzieren, können diese kognitiven Aktivitäten dafür sorgen, dass ihre Selbstreproduktion sicherer und effizienter ist.
Doch für Max Horkheimer gibt es noch eine andere mögliche Art kognitiver Aktivität, die nicht auf die bloße Reproduktion der Gesellschaft in ihrer gegenwärtigen Form oder die effizientere Assimilation der Natur abzielt; das heißt, eine kognitive Aktivität, die sich im Gegenteil der radikalen Veränderung der bestehenden Gesellschaft zuwendet, mit der Absicht, sie inhaltlich rationaler zu machen.
Diese andere Form der kognitiven Aktivität ist die Kritische Theorie, definiert als eine inhärent oppositionelle Denkweise, deren Interesse die menschliche Emanzipation ist. Kritische Theorie ist historisch spezifisch und konzentriert sich auf eine bestimmte Gesellschaft, die diese Emanzipation verhindert. Sie steht dieser Gesellschaft von Natur aus negativ gegenüber und ist auf eine objektive und substanzielle Auffassung von Vernunft angewiesen, um der traditionellen Theorie entgegenzutreten, die auf einem subjektiven und formalen Konzept von Vernunft beruht.
Die Methode der immanenten Kritik
Seine Analysemethode ist die der internen oder immanenten Kritik. Diese methodische Option, die Hegelschen Ursprungs ist,[I] es ist vielleicht das Hauptunterscheidungsmerkmal der kritischen Theorie von der traditionellen Theorieauffassung. Ausgestattet mit einem Konzept der materiellen Vernunft mit einer starken normativen Komponente stellt sich die kritische Theorie dem positivistischen Denken entgegen, dessen Hauptpostulate, anstatt zur Offenlegung der Mechanismen des Funktionierens der Gesellschaft beizutragen, tatsächlich zu ihrer Verdinglichung beitragen.
Eines der besten Beispiele für die Anwendung dieser Methode der immanenten Kritik ist das Buch Dialektik der Aufklärung, von Max Horkheimer und Theodor Adorno[Ii]. Obwohl dieses Buch von vielen Interpreten als geschichtsphilosophische Spekulationsübung angesehen wird, handelt es sich dennoch um eine immanente Kritik der Aufklärung. Kritik ist gerade deshalb immanent oder intern, weil es für ihre Autoren nicht einfach darum geht, die Aufklärung abzulehnen, sondern vielmehr darum, eine Dimension der Selbstkritik einzuführen, die sie aufgeklärter und rationaler machen kann.
Es handelt sich also nicht um eine externe Kritik, die von jemandem geäußert wird, der sich außerhalb des Bereichs der Aufklärung wähnt; Vielmehr handelt es sich um eine Kritik zweier Denker, die sich als integraler Bestandteil dieser Tradition betrachten, sich aber mit den von der Aufklärung eingeschlagenen Wegen nicht zufrieden geben, weil sie von der positivistischen Wissenschaft und den etablierten Mächten genutzt und in ein Instrument verwandelt wurden der Herrschaft über Mensch und Natur.
Max Horkheimer und Theodor Adorno lesen die Menschheitsgeschichte als Dialektik der Aufklärung. Aber für sie ist Aufklärung ebenso eine Theorie, die eine Reihe von Prinzipien und Zielen für die Gesellschaft festlegt, wie auch die Gesellschaft selbst, die aus der Anwendung dieser Theorie entsteht. Als Theorie ist ihr Gegenteil der Mythos; Als soziales Ergebnis dieser Theorie ist ihr Gegenteil die Barbarei. Gegenstand des Buches von Max Horkheimer und Theodor Adorno ist daher die Beziehung zwischen Aufklärung und ihrem Gegenteil; Da es sich jedoch um geschichtsphilosophische Übungen handelt, liegt ihr Schwerpunkt auf der Aufklärung als Theorie.
Die Entwicklung der kritischen Theorie
Aber auch die Kritische Theorie im Sinne der Frankfurter Theoretiker unterscheidet sich von den eher orthodoxen Strömungen des Marxismus vor allem durch ihre Betonung kultureller Themen. Obwohl ihr Ausgangspunkt die Kritik der politischen Ökonomie von Marx ist, drückt die theoretische Produktion der wichtigsten Mitglieder der ersten Generation der Frankfurter Schule in gewisser Weise eine Reaktion auf den ökonomischen Determinismus der orthodoxeren Versionen des Marxismus aus, der in der Frankfurter Schule vorherrschte II. und III. Länderspiele.
Im Gegensatz zu einer vermeintlichen einseitigen Bestimmung der wirtschaftlichen Dimension über das soziale Ganze deuten die von den Frankfurtern entwickelten Analysen daher auf eine relative Autonomie der kulturellen und politischen Sphären hin. Dies bedeutet jedoch keine Abkehr von der politischen Ökonomie, sondern vielmehr eine Relativierung ihrer Bestimmung und damit einhergehend eine Bereicherung der Analyse der gesellschaftlichen Gesamtheit durch die Einbeziehung von Beiträgen anderer Autoren wie Weber und Freud in die Theorie zu einer Rückkehr zu Hegel.
Diese Offenheit gegenüber anderen theoretischen Strömungen, die Max Horkheimer als traditionell bezeichnen würde, vertieft sich insbesondere im Werk von Jürgen Habermas, dem Hauptmitglied der zweiten Generation. Der zentrale Punkt der Kritik von Jürgen Habermas an der ersten Frankfurter Generation liegt in einer vermeintlichen Bindung dieser an das sogenannte Arbeitsparadigma bzw. die Subjektphilosophie.
Trotz der Betonung kultureller Aspekte und der Bereicherung des Ansatzes durch die Einbeziehung anderer theoretischer Strömungen blieben Max Horkheimer und Theodor Adorno in der Konzeption von Jürgen Habermas an die marxistische Arbeitsphilosophie und auch an eine enge Konzeption von Rationalität als instrumenteller Rationalität gebunden, ein Vermächtnis aus den Schriften von Max Weber. Für Jürgen Habermas hätte dies seine Vorgänger daran gehindert, eine theoretisch positive Lösung für die Dilemmata der Moderne zu finden, was dazu geführt hätte, dass sie Moderne mit Kapitalismus verwechselt hätten tout court. In diesem Sinne bedeutet die Theorie von Jürgen Habermas einen Paradigmenwechsel in der Kritischen Theorie.
Obwohl Habermas von der gleichen Problematik ausgeht, die Horkheimer in den 1930er Jahren aufgestellt hatte, erarbeitet er eine Theorie des kommunikativen Handelns auf der Grundlage der Sprachphilosophie und fördert damit einen intersubjektivistischen Wandel in der kritischen Theorie. Damit gelingt es seiner Version der Kritischen Theorie, zwei Rationalitätskonzepte (teleologische und kommunikative) zu unterscheiden, was es ihm ermöglicht, die moderne Gesellschaft aus der Spannung zwischen zwei unterschiedlichen Logiken heraus neu zu interpretieren, von denen die eine von teleologischer Rationalität und die andere von kommunikativer Rationalität geleitet wird.
Aus dieser zweidimensionalen Konzeption von Rationalität erarbeitet er sowohl eine neue Interpretation der Moderne, die durch die Spannung zwischen den beiden Formen der Rationalität gekennzeichnet ist, als auch ein zweidimensionales Konzept der Gesellschaft, das aus zwei Sphären besteht: Lebenswelt und System. Ausgestattet mit dieser Theorie, deren entwickelte Form in seinem Buch vorgestellt wird Theorie des kommunikativen Handelns,[Iii] Er kann auch eine diskursive Theorie der Demokratie erarbeiten, für die die Konzepte von Recht, Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit grundlegend sind, was nicht zu den Anliegen von Horkheimer, Adorno und Marcuse zu gehören schien.
Seine Theorie der Moderne ist daher weniger pessimistisch als die von Horkheimer und Adorno ausgearbeitete Dialektik der Aufklärung. Dies trug jedoch nicht nur dazu bei, das Konzept der Kritischen Theorie zu erweitern, sondern trug auch dazu bei, die Kritische Theorie noch näher an das heranzuführen, was Horkheimer als traditionelle Theorie bezeichnete. Aus diesem Grund stellen einige zeitgenössische Autoren sogar die aktuelle Relevanz der Unterscheidung zwischen kritischer Theorie und traditioneller Theorie in Frage.
Der Übergang von der ersten zur zweiten Generation, genauer gesagt von Dialektik der Aufklärung auf Theorie des kommunikativen Handelnslässt sich auch als Übergang von einer subjektphilosophischen Theorieauffassung hin zu einer intersubjektivitätstheoretischen Auffassung beschreiben. Für Axel Honneth, der als Hauptvertreter einer dritten Generation der Kritischen Theorie gilt, bedeutete der von Jürgen Habermas betriebene Paradigmenwechsel zwar einerseits die Befreiung der Kritischen Theorie von den Fesseln des Produktionsparadigmas, andererseits aber auch den Übergang von der Produktion zur Kommunikation ein Verlust der Verankerung der Theorie in der Erfahrung unterdrückter Subjekte, da die Sprache, die Grundlage der Habermas’schen Theorie, allenfalls die formalen Mittel zur Aushandlung von Möglichkeitsbedingungen bereitstellt, aber keinen Bezugspunkt darstellt, von dem aus man dies tun kann einen Konflikt über inhaltliche Fragen auslösen.
Obwohl Axel Honneth mit Jürgen Habermas die gleiche Konzeption einer intersubjektivistischen Theorie teilt, schlägt er als Alternative zur habermasianischen Version vor, die kritische Gesellschaftstheorie aus einer Wiederaneignung des Hegelschen Konzepts des „Kampfes um Anerkennung“ neu aufzubauen. Axel Honneths Anerkennungstheorie, ausführlicher im Buch Kampf um Anerkennung,[IV] Es basiert auf einer dreigliedrigen Typologie der intersubjektiven Anerkennung, die aus Liebe, Recht und Solidarität besteht, und geht von intuitiven Vorstellungen von Gerechtigkeit aus, weshalb es von seinem Autor als geeigneter angesehen wird, sich mit der Grammatik sozialer Kämpfe auseinanderzusetzen.
* Joshua Pereira da Silva ist pensionierter Professor am Unicamp. Autor, unter anderem von Kritische Soziologie und die Krise der Linken (dazwischenliegend).
Referenz
Joshua Pereira da Silva. Die Macht der Theorien. São Paulo, Intermeios, 2023, 212 Seiten.
Aufzeichnungen
[I] Zum hegelianischen Ursprung des Konzepts der immanenten Kritik siehe Seyla Benhabib, Kritik, Norm und Utopie. Eine Studie über die Grundlagen der Kritischen Theorie (New York, Columbia University Press, 1986).
[Ii] Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente (Rio de Janeiro, Zahar Editor, 1985), Übersetzung von Guido Antonio de Almeida.
[Iii] Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bände (São Paulo, Martins Fontes, 2012), übersetzt von Paulo Astor Soethe (V.1) und Flávio Beno Siebeneichler (V.2).
[IV] Axel Honnet, Kampf um Anerkennung. Die moralische Grammatik sozialer Konflikte (São Paulo, Editora 34, 2003), Übersetzung von Luiz Repa.
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