von PAULO MARTINS*
Die Poesie der Sappho wurde durch andere Autoren weitergetragen, eben jene, deren Werke diese Tradition reproduzierten und neu erfanden.
Erotische Poesie ist so alt wie die westliche Literatur selbst und hat die Jahrhunderte überdauert. Manchmal wird sie als kulturelles Nebenprodukt betrachtet, oft im Verborgenen, manchmal als Genre, das eine etwas verlegene Ehrfurcht vor klassischen Texten hervorruft – und das ist im antiken Griechenland keine Ausnahme, wo es verschwenderisch zugeht mit den künstlerischen Ausdrucksformen einer Kultur, die Sinnlichkeit hoch schätzte.
Die bemerkenswerteste (und für manche vielleicht peinlichste) Tatsache ist die Erkenntnis, dass es die Poesie einer Frau aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. war, Sappho von Lesbos – deren Name, ja, die Begriffe „Lesbianismus“ und „Sapphismus“ hervorbrachte –, die diese lange und reiche Tradition begründete.
Von seinem Werk ist nicht viel übrig geblieben: Die Unbarmherzigkeit der Zeit hat uns nur sehr wenige Texte hinterlassen und fast keiner ist vollständig überliefert. Was wir heute haben, sind lediglich Scherben, Ruinen, Spuren einer innovativen Poesie, die die Größe dieses Dichters nur andeuten, suggerieren oder andeuten können.
In Brasilien waren die Fragmente seiner Gedichte eine Zeit lang vergriffen oder in einigen Publikationen verstreut. Heute sind sie in Büchern wie Eros, Weber der Mythen, von Joaquim Brasil Fontes (2003); Sappho von Lesbos: Hymne an Aphrodite und andere Gedichte (2011) und Fragmente einer Göttin: Die Darstellung der Aphrodite in Sapphos Lyrik (2005). Ziel dieser Ausgaben ist es, neben den Texten von Sappho detaillierte Analysen vorzunehmen, die in der nationalen Literaturszene beispiellos sind.

Über Sapphos Leben ist wenig Sicheres bekannt. Sie wurde zwischen 630 und 612 v. Chr. in der Stadt Mytilini auf der Insel Lesbos in der Ägäis (an der heutigen Küste der Türkei) geboren. Aus unklaren politischen Gründen musste sie die Insel irgendwann verlassen und sich in Sizilien niederlassen, das damals eine griechische Kolonie war. Dort, so die Überlieferung, versammelte er eine Gruppe, die ausschließlich aus Frauen bestand, um sich, um mit Musik und Poesie – die damals untrennbar miteinander verbunden waren – Aphrodite zu ehren, die Göttin der Liebe und Mutter des Eros, des jungen Gottes, den die lateinische Tradition unter dem Namen Amor verewigt hat.

Mit diesen Ritualen der Zelebration des Erotischen und Sinnlichen begründete Sappho offenbar jene Gattung der Poesie, die in den unterschiedlichsten Formen bis heute floriert. Und es ist merkwürdig, dass diese Kraft, die typisch für die seltenen historischen Momente ist, die die Entstehung einer Kunst kennzeichnen, trotz einer „Ruine“ überlebt hat. Die Antwort könnte von Ezra Pound gegeben worden sein, der die Tat durch die Aufnahme in eine Anthologie rechtfertigte. Das ABC der Literatur: „Ich habe den großen Namen Sappho auf die Liste gesetzt, weil er so alt ist und weil von ihrem Werk so wenig übrig ist, dass man es entweder lesen oder weglassen kann. Wenn Sie es gelesen haben, wissen Sie, dass es nichts Besseres gibt.“
Ezra Pound bezieht sich insbesondere auf die Ode Poikilothron (Hymne an Aphrodite), eine der sinnlichsten der Literaturgeschichte, und es ist durchaus wahrscheinlich, dass hieraus die erotische Literatur entstand, sei es durch direkte Anspielung oder, in unsichereren Fällen, durch reinen Zufall. Sein erotischer Ton ist nicht offensichtlich, außer der Tatsache, dass es als Mittelpunkt Persona poetische Aphrodite selbst, Mutter des Mythenwebers, die auf einen Thron aus Farben und Helligkeit gesetzt ist, die Poikilothron, aus dem wir die Mischung der Farben erkennen können (die Poikilia oder Sorten) und als „Komplottmacher“ charakterisiert. An sie richtet sich die Bitte der Liebenden, dass das Herz des „Ichs“, das in der Poesie spricht, nicht vor den Sorgen und Schmerzen, die die Göttin webt, verzagt.
Nicht so subtil ist die Ode Pass auf mich auf (so scheint es mir), in dem Sappho ihren Liebsten als Gott darstellt, dem sie unvergleichliche Gaben zuschreibt – „dieses Lächeln von dir, das Begierden weckt“ – und Offenbarungen der Liebe als einen physischen Zustand konstruiert, dem der Liebende unterworfen ist: „Mein Herz in meiner Brust zittert vor Angst, sobald ich dich sehe“; „eine verstohlene Flamme läuft unter meiner Haut“; „meine Augen sehen nicht, meine Ohren klingeln“, „kalter Schweiß bedeckt mich“; „Ich bin nur noch einen Schritt vom Tod entfernt.“ Es sei daran erinnert, dass der Römer Catull im 1. Jahrhundert dieselbe Ode wieder aufgriff.o B.C.[1]
Für den homoerotischen Gehalt seiner Gedichte ist ein weiteres Fragment beispielhaft: „Wäre ich tot, ja, // würde sie mich unter Tränen verlassen und sagen: // ‚Ach, unser bitteres Schicksal, // meine Sappho: Ich gehe wider Willen‘.“ Doch Vorsicht: Hier ist eine Gegenreaktion auf die biografische Lesart angebracht, denn diese Art von Poesie der Antike konnte, muss aber nicht, einen vom Dichter erlebten Zustand widerspiegeln, und was uns Sapphos Text erzählt, muss nicht unbedingt etwas aus seinem eigenen Leben sein. Das schmälert jedoch nicht die Breite der homosexuellen Darstellung.

Doch auch wenn es stimmt, dass die Poesie der Sappho die erotische Poesie nachahmt, muss man auch unbedingt sagen, dass sie durch andere Autoren weiterlebte, eben jene, deren Werke diese Tradition reproduzierten und neu erfanden – manchmal weit entfernt von einem gewissen Vulgarismus; manchmal so nah und dennoch ein Objekt, das der höchsten Literatur würdig ist.
Es ist nicht unangemessen, in diese Liste so ungleiche Paare wie Sappho und Horácio, Propércio und Florbela Espanca, Adélia Prado und John Donne, Paulo Leminsky und Allen Ginsberg, Walt Whitman und Manuel Bandeira, Ovídio und Drummond aufzunehmen, Autoren, die sich durch ihre Fähigkeit auszeichnen, Eros in Worte zu fassen, obwohl sie sich fast nie ausschließlich auf dieses Thema beschränken und auch nicht unbedingt als einander nahestehend gelten, da die Unterscheidung zwischen dem Sinnlichen, dem Amourösen, dem Erotischen und dem Feszenischen bei ihnen klar ist. Es ist jedoch erwähnenswert, dass in allen Fällen das Gotteskind und seine Mutter die poetische Ausarbeitung leiten und dass es ihre Metamorphosen sind, die die Künste dieser Art nähren.
In der klassischen Antike wurde viel erotische Poesie geschrieben, und das ist so wahr, dass ein spezifisches poetisches Prinzip um das Thema herum konstruiert wurde, wodurch eine immense Bandbreite an Untergattungen entstand - Horaz in seinem Poetische Kunst (Brief an die Pisonen) behauptet dies. Zum Beispiel ist die römische erotische Elegie von Catull, Ovid, Properz und Tibull von grundlegender Bedeutung für das Verständnis der erotischen Produktion klassischer Dichter wie John Donne (1572-1631) in Die Extasie (Lasst uns endlich zu den Körpern zurückkehren, / Die Liebe für alle Menschen enthüllen; / Die Geheimnisse der Liebe fühlt die Seele, / Aber der Körper sind die Seiten, die wir lesen.) oder in Elegie: Zu Bett gehen (Lass meine wandernde Hand eintreten/ Hinten, vorne, oben, unten, eintreten./ (…) Mein kostbares Bergwerk, mein Reich,/ Glücklich sei, wer dein Geheimnis durchdringt), meisterhaft vertont von Péricles Cavalcante, übersetzt von Augusto de Campos und aufgenommen von Caetano Veloso auf dem Album Transzendentales Kino.
Man sollte sich jedoch immer vor Augen halten, dass die Lektüre antiker Texte grundsätzlich eine Trennung zwischen dem Dichter im historischen Sinn und dem Subjekt der poetischen Äußerung voraussetzt, auch wenn dieses in der poetischen Aussage manchmal namentlich genannt wird. Daraus ergeben sich viele Missverständnisse in Bezug auf die Intelligenz. Wenn wir also Sappho, Properz, Ovid oder sogar John Donne lesen, können wir nicht verwechseln a priori historisches Thema und Persona Poetik.
Eine Tatsache, die man außer Acht lassen kann und sollte, wenn man es mit zeitgenössischen, postromantischen und romantischen Dichtern zu tun hat, in deren Werken persönliche und eigentümliche Merkmale zu beobachten sind, die ihre Einzigartigkeit kennzeichnen, die aber dennoch selbst als poetisches Material rekonstruiert werden.
Wenn Manuel Bandeira beispielsweise das schöne Radierung na Leier der fünfzig Jahrebeschreibt er die Dimension dieser Nähe: „Das Schwarz auf Weiß/ Der Kamm auf der Haut:/ Ausgebreiteter Vogel/ im fast weißen Himmel.// Mitten im Kamm,/ Die Muschel/ In einem Meer aus Scharlachrot. Muschel, Rose oder Dattel?// In der dunklen Nische,/ Die Quellen des Lebens/ Vergeblich blutend/ Aus zwei Wunden.// Alles gut verborgen/ Unter dem Schein/ Der einfachen Radierung:/ Des Gesichts, der Flanke,/ Das Schwarz auf Weiß.“
Neben der Wiederherstellung der Redekunst des Kanons der erotischen Poesie, der Konstruktion dessen, was die Alten „Ekphrasis“ nannten (ein beschreibendes Verfahren eines visuellen Bildes, das meist aus dem mentalen Bild erzeugt wird, Fantasie in Aristoteles' Begriffen in De Anima), Manuel Bandeira bringt auch eine ganze persönliche Geschichte zum Ausdruck, die nicht außer Acht gelassen werden kann: In seiner Poesie werden die Unmöglichkeit, Liebe zu verwirklichen, und die Sublimierung des Sex deutlich. Ganz zu schweigen von der kompositorischen Einfachheit, die den Prüfstein dieses großartigen Werks bildet, indem sie die Sprache selbst entmystifiziert und sie mit ihrer eigenen Einfachheit verbindet, in einem Schachspiel, dessen Themen Leben und Poesie sind.
Über Liebe und Sex zu sprechen bedeutet, über die Menschheit selbst zu sprechen. In der Antike war es die Widerspiegelung der menschlichen Verfassung, die in der Poesie als etwas Mögliches, Notwendiges und Unvermeidliches betrachtet werden sollte; in der heutigen Zeit als Porträt einer individuellen Verfassung, das das „poetische und historische Selbst“ zum Kern der Darstellung und damit zum Zentrum der Existenz erhebt. Diese beiden Aspekte sind in Sappho vorhanden.
Der erste Teil des archetypischen Punktes ist das Werk selbst, heute fragmentarisch und andersartig, das die zitierten nationalen Kommentatoren betreiben und das aus der Entschlüsselung des Themas als Lebensbedingung entsteht. Somit ist es Eros – und nicht die Parzen/Moiren, die Herrinnen der menschlichen Schicksale –, der das Leben webt. Das Leben als Mythos, als Diskurs, der den universellen und liebevollen Zustand des Menschen darstellt, der überlebt, selbst angesichts der Härten, die das Leben mit sich bringt, und angesichts der Freuden, die der Text und die Liebe bieten.
* Paulo Martins ist Professor für klassische Literatur an der Fakultät für Philosophie, Literatur und Humanwissenschaften der USP. Autor u.a. von Die Darstellung und ihre Grenzen (edusp). [https://amzn.to/4jMVAIY]
Hinweis:
[1] vgl. https://aterraeredonda.com.br/o-livro-de-catulo/
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